Die Schwarmorganisation ‘in a nutshell’

Die Schwarmorganisation ist eine unternehmerische Antwort auf existenzielle Bedrohungen in von hoher Dynamik und Komplexität gekennzeichneten Branchen. Sie ist ein Vertreter einer Gattung eng verwandter Organisationsformen, die auf Machthierarchien verzichten und stattdessen auf die Menschen und ihre Fähigkeiten zur Selbststeuerung und Selbstorganisation setzen.

In diesem Beitrag stelle ich Ihnen die wesentlichen Charakteristika und die Vorteile einer Schwarmorganisation vor.

Dieser Artikel ist unter den Top-10 der Best of Schwarmorganisation 2017-2020.

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Fünf Auslöser für ein Nachdenken über Schwarmorganisationen

Die Schwarmorganisation ist hoch im Norden der S-Matrix zuhause, auf dem Gebiet des Wachstums. Dort haben sich auch ihre Schwestern angesiedelt, die Agile Organisation, Sociocracy und die Netzwerkorganisation. Denn sie basieren auf ähnlichen Werten und Prinzipien.

Die Wachstumszone folgt dem Gebiet der Reife. In ihr gedeihen neuartige Organisationsformen, die das Profane zunehmend hinter sich lassen. Sie sind eine unternehmerische Reaktion auf existenzielle Bedrohungen in von hoher Dynamik und Komplexität gekennzeichneten Märkten. In ihnen spielen ideelle Werte, Achtsamkeit und der wertschätzende Umgang mit Menschen und der Natur eine große Rolle. Bei diesen Formen von Wachstumsorganisationen handelt es sich nicht um Utopien aus sozial-romantischen Phantasien. Im Gegenteil: Diese Organisationsformen sichern knallhart das Überleben von Unternehmen oder Unternehmensbereichen in einem hoch dynamischen und komplexen Marktumfeld.

Dieser Trend ist für manche Top-Manager und Führungskräfte eine verständlicher Weise nur schwer zu schluckende Kröte. Sind sie doch Jahre oder Jahrzehnte lang auf Basis völlig anderer Konzepte ausgebildet und entwickelt worden. Noch schwerer fällt es einigen, sich aufzumachen und die notwendigen Konsequenzen für ihr Unternehmen zu ziehen. Die Frage, wann eine Schwarmorganisation sinnvoll oder sogar notwendig werden kann, wird in meinem Beitrag Braucht Ihr Unternehmen eine Schwarmorganisation? thematisiert. Die fünf wichtigsten Auslöser, die Sie – falls Sie von ihnen betroffen sind – zum Nachdenken über Schwarmorganisationen bringen sollten:

  1. In immer kürzeren Zeitabständen brechen massive Veränderungen über Sie herein. Ihr Unternehmen wird dabei mit veränderten oder neuen Marktbedingungen, Wettbewerbern, Kundengruppen, Kundenbedürfnissen und Produktanforderungen konfrontiert.
  2. Unauflösbare Unsicherheiten begleiten Ihr Denken und Handeln. Langfristige Planungen werden daher sinnlos.
  3. Ihre Kunden werden ein zentraler Teil Ihrer Geschäftsprozesse.
  4. Zur Bestimmung und Befriedigung Ihrer (global aufgestellten) Kunden müssen Sie sich mit exzellenten Experten und weltweit agierenden Partnern vernetzen.
  5. Ihre Mitarbeiter lehnen Hierarchien zunehmend ab und fordern stattdessen die Möglichkeit zur Selbstorganisation und Selbststeuerung ein.

Was macht eine Schwarmorganisation aus?

In Schwarmorganisationen finden sich aus eigenem Antrieb unterschiedliche Kompetenzträger zu Teams für neue Projekte zusammen. Sie geben sich eine zur Natur der Aufgabenstellung passende Organisationsform, um auf bestmögliche Weise zusammenarbeiten zu können. Es entstehen praktisch laufend neue Start-ups und lösen sich nach getaner Arbeit wieder auf. Schwarmorganisationen treiben das Konzept der Ambidextrie damit auf die Spitze.

Die verschiedenartigen Organisationseinheiten vernetzen sich bei Bedarf mit anderen internen oder externen Organisationseinheiten. Eine kleine Kernorganisation (Steuereinheit) sorgt für die hierzu erforderlichen Rahmenbedingungen und unbedingt notwendigen Regeln. Sie organisiert sich nach den gleichen Mustern wie alle anderen Organisationseinheiten. Sie zeichnet sich nur dadurch aus, dass sie als erste Einheit einer Schwarmorganisation geschaffen wird und in der Regel keine nach außen gerichteten Aktivitäten entfaltet.

Wenn man sich auf eine Schwarmorganisation einlässt, muss man viele Dinge nahezu entgegengesetzt zur gängigen Lehrmeinung tun: Das Top-Management gibt die Kontrolle über die Strategie und die Ausrichtung des Unternehmens oder Unternehmensbereichs auf. Es ersetzt die Machthierarchie durch eine Selbststeuerung der Organisation. Die Top-Manager werden zu Führungskräften oder Experten in der Schwarmorganisation. Die Entscheidungsgewalt der Führungskräfte geht an die Mitglieder der Organisation über. Diese tun, was aus ihrer intimen Kenntnis der Situation wirklich wichtig ist und worin sie gut sind. Und sie setzen es auf Grundlage ihrer Expertise um. Dazu organisieren sich auf eine Weise, die aus ihrer Sicht die besten Arbeitsbedingungen zur Problemlösung bietet.

Die Führungskräfte in einer Schwarmorganisation halten laufend Ausschau nach neuen Geschäftsmöglichkeiten und verbessern die Strategie. Sie “empowern” Teams und schaffen bestmögliche Rahmenbedingungen für Wissensarbeiter. Um Einfluss zu nehmen und Wirkung zu entfalten, inspirieren und überzeugen sie. Die Rolle der Führungskraft in einer Schwarmorganisation ist von überragender Bedeutung!

Wie diese neue Art von Führung ihre Wirkung entfaltet, welche Führungskräfte wir dafür brauchen und wie sich Führungskräfte entwickeln müssen, beschreibe ich den den beiden Artikeln Die „ideale Führungskraft“ für selbststeuernde Organisationen und Agile Führung – Persönlichkeit und Entwicklung agiler Führungskräfte.

Die Vorteile einer Schwarmorganisation ergeben sich nur dann, wenn die heutigen Entscheider im Unternehmen oder Unternehmensbereich ihre Macht und die Kontrolle an die Mitarbeitenden abgeben. Viele Charakteristika der Schwarmorganisation erinnern an die Umsetzung von Ideen aus der New Work Bewegung. In der Schwarmorganisation werde sie aber “auf die Spitze getrieben”.

Die Kernstruktur der Schwarmorganisation

Die Kernstruktur einer Organisation fasst deren dominante Charakteristika und Strukturelemente zusammen. Die Abbildung enthält zusätzlich die wesentlichen Umwelt- und Marktbedingungen. Das Gesamtbild ist eine visuelle Strukturierungshilfe für die Beschreibung der Schwarmorganisation. Zudem ermöglicht es den raschen Vergleich mit anderen Organisationsformen.

Im Zentrum einer jeden Organisation stehen die von deren Mitgliedern geteilten Werte. Sie definieren die Kultur des Unternehmens. Siehe hierzu auch die Diskussion über kulturbestimmende Werte im Artikel Agile Transformation: Mit dem agilen Kopf durch die hierarchische Wand. Aus meiner Sicht sind sie das Wesentliche bei der Diskussion einer Organisationsform. Aus ihnen leitet sich alles andere ab. Dementsprechend nehmen sie hier auch den größten Raum ein.

Die bestimmenden Werte einer Schwarmorganisation sind:

  • Exzellenz im Sinne von Erstklassigkeit. Sie bezieht sich auf die Qualität von Produkten und Dienstleistungen sowie die persönliche Weiterentwicklung der Wissensarbeiter. Exzellenz ist der dominante Wert der Schwarmorganisation.
  • Sinnhaftigkeit bezieht sich auf die Übereinstimmung der Mission des Unternehmens mit individuell wahrgenommenem Sinn oder Lebenszweck.
  • Selbstorganisation stützt sich auf Freiwilligkeit, Selbstverantwortung und Durchlässigkeit.
  • Gestaltungswille für den eigenen Arbeitsbereich und das gesamte Unternehmen.
  • Machtverzicht auf allen Ebenen, auch innerhalb der Substrukturen der Organisation. Führungskräfte üben sich in Bescheidenheit und Demut – als Gegenpole zu Narzissmus und Allmachtsphantasien.
  • Achtsamkeit im Sinne von Akzeptanz und Wertschätzung der eigenen Person, von anderen sowie der Umwelt.
  • Kommunikation, die aktiv, offen und umfassend geschieht. Hierzu gehört auch der bewusste und konstruktive Umgang mit Konflikten, die als Chancen für bessere Lösungen gesehen werden.
  • Beziehungsorientierung als Grundlage für leistungsfähige Teams. Gesunde und auf Vertrauen basierende zwischenmenschliche Beziehungen sind Erfolgsfaktoren der Teamarbeit.

Ebenfalls ein Wert, gleichzeitig aber auch das zentrale Prinzip der Schwarmorganisation ist Teilen: Das Teilen von Erfahrungen erfordert Offenheit und Vertrauen und erhöht die Effektivität, das Teilen von Wissen führt zu gegenseitigem Lernen und steigert die Exzellenz und das Teilen von Information ermöglicht die notwendige Transparenz. Letzteres wird in Schwarmorganisationen durch eine konsequente Digitalisierung aller Prozesse unterstützt.

Die Kern-Kompetenz der Schwarmorganisation ist ihre Fähigkeit zur Formwandlung. Dabei kann sich die Organisation als Ganzes einheitlich wandeln und z.B. zu einer agilen oder Lean-Organisation werden. Oder Teilbereiche wandeln sich in unterschiedlicher Weise und bilden spezifische Organisationsformen aus (Stichwort Ambidextrie). Diese arbeiten dann als Netzwerkorganisation zusammen.

Damit sich die Organisationsform bei jedem neuen Projekt schnell wandeln kann, müssen die Menschen in einer Schwarmorganisation über eine stammzellenartige Anpassungsfähigkeit verfügen. Aus Stammzellen können sich alle Arten von Organen bilden. Und genauso können die Mitglieder von Schwarmorganisationen jede beliebige Organisationsform bilden und entsprechende Rollen darin einnehmen. Den Zusammenhang zwischen Rolle und Organisation bespreche ich im Artikel Agile Rollen bestmöglich besetzen.

Zur netzwerkartigen Struktur unterschiedlicher Organisationsformen habe ich oben etwas geschrieben. Die Kernorganisation (Steuereinheit) ist eine Art Dienstleister für die Schwarmorganisation. Sie übernimmt ganz ähnliche Aufgaben für das gesamte Unternehmen, wie die Führungskraft einer Schwarmorganisation für ihren Wirkungsbereich: Sie berät Organisationseinheiten, unterstützt die Kooperation, beseitigt Barrieren, stellt Informations- und Kommunikationsinfrastruktur zur Verfügung, organisiert Workshops zur Abstimmung von Leitlinien für die gesamte Organisation oder die Strategie für das Unternehmen usw.

Das bestimmende Charakteristikum der Prozesswelt bei Schwarmorganisationen ist das wissensbasierte Wertschöpfungsnetzwerk. Das Ziel ist eine kundenzentrierte Wertschöpfung statt eines starren Wertschöpfungsprozesses. Die lineare, an den eigenen Kompetenzen orientierte Wertschöpfungskette wird durch ein flexibles, an den Kundenbedürfnissen orientiertes Kompetenznetzwerk ersetzt. Das Unternehmen plant nicht auf Basis seines schon vorhandenen Produktportfolios, der Fertigung mit ihrer Fertigungstiefe und der Maschinenauslastung, der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. Sondern es richtet seine Aktivitäten flexibel an den aktuellen Kundenbedürfnissen und Produktanforderungen aus.

Um das zu erreichen, setzt die Schwarmorganisation auf Wissen und digitalisierte Kollaboration mit internen und externen Partnern. Dadurch entsteht Schwarmintelligenz, eine der wichtigsten Ressourcen der Schwarmorganisation und ihrer Schwestern. Wissen bezieht sich auf die fachliche Exzellenz, die die Wissensarbeiter aus eigenem Antrieb anstreben. Das Unternehmen muss diesem Drang nur durch geeignete Angebote unterstützen. Die digitale Kollaboration in Netzwerken wird durch Tools zum Crowdsourcing, zur Realisierung interner Social Networks oder durch Wikis unterstützt. Und auch durch digitale Assistenten, die Daten aus dem Internet und dem Intranet sowie von Sensoren in der Umwelt und im Unternehmen sammeln, filtern und verknüpfen. Stichworte hierzu sind Industrie 4.0, cyber-physikalische Systeme, Internet of Things und Pervasive Computing.

Schwarmorganisationen können aufgrund ihrer Fähigkeiten auf Vektorstrategien setzen. Diese orientieren sich an einer Vision für die fernere Zukunft. Detaillierte Pläne mit konkreten strategischen Maßnahmen beziehen sich nur auf die nähere Zukunft. In der Sprechweise der agilen Welt würden wir von einem Strategie-Inkrement sprechen. In kurzen Zyklen (Iterationen) werden diese auf ihre Wirksamkeit und Zielerreichung im Sinne der Vision überprüft. Ist das Unternehmen auf einem guten Weg, wird weiter in die Richtung gegangen. Andernfalls wird die Strategie neu justiert. Interessante neue Geschäftschancen werden unmittelbar für den nächsten Zyklus aufgenommen und geprüft.

Was eine Schwarmorganisation nicht ist

Eine Schwarmorganisationen ist wie ein mythischer Metamorph, also ein Formwandler. Eine Schwarmorganisation nimmt Strukturen und Vorgehensweisen anderer Organisationsformen entsprechend der aktuellen Herausforderungen an. Hierdurch ergibt sich eine Flexibilität, deren Ausmaß am ehesten noch mit der Flexibilität agiler Organisationen vergleichbar ist. Es gibt aber einen grundsätzlichen, strukturellen Unterschied zu agilen Organisationen:

  • Einer agilen Organisation gelingt es aufgrund ihrer Werte, Prinzipien und Praktiken, flexibel mit sich ändernden Rahmenbedingungen umzugehen.
  • Eine Schwarmorganisation passt ihre Form flexibel an sich ändernde Rahmenbedingungen an. Nur die zugrunde liegenden Werte bleiben dabei stabil. Sie sind aber geeignet, diese Gestaltwandlungen zu ermöglichen.

Kurz: Die agile Organisationsform ist flexibel, eine Schwarmorganisation hat eine flexible Form. In der Praxis weisen Schwarmorganisationen häufig auch agile Organisationsformen auf. So entsteht eine Art Flexibilität zum Quadrat.

Der Begriff fluide Organisation wird manchmal synonym für Schwarmorganisation verwendet. Er passt aber viel besser zur Amöbenorganisation. Denn es sind ja nicht völlig gleiche, unveränderliche Elemente, die sich um ein Problem herum organisieren. Sondern ein Schwarm von Elementen, die unterschiedliche Organisationsformen zur Bearbeitung der unterschiedlichen Facetten einer Aufgabenstellung aufweisen.

Die Vorteile einer Schwarmorganisation

Schwarmorganisationen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von klassisch-hierarchischen Organisationen. Und in einem dynamischen, komplexen Marktumfeld weisen sie Vorteile gegenüber diesen auf, denn sie sind:

  • Robust: Schwarmorganisationen gehen höchst flexibel mit sich ändernden Rahmenbedingungen um. Denn sie bilden Organisationsformen aus – auch agile! -, in denen die durch die Veränderungen entstehenden Aufgaben optimal bearbeitet werden können. Diese Eigenschaft kann auch als organisatorische Resilienz bezeichnet werden und ist vermutlich das wichtigste Charakteristikum einer Schwarmorganisation.
  • Schnell: Selbstorganisation, -steuerung und -verantwortung sind Kernprinzipien von Schwarmorganisationen. Durch den Wegfall von Berichtswegen werden Entscheidungen von sachkundigen Experten unmittelbar getroffen und können ebenso schnell umgesetzt werden.
  • Innovativ: Die Menschen in Schwarmorganisationen bringen ganz ohne Innovationsprozess innovative Ideen hervor. Sie nutzen hierzu automatisch und selbstverständlich den leistungsfähigen Open Innovation Ansatz. Und sie nutzen die Freiräume der Schwarmorganisation, sie zu verwirklichen.
  • Kundenzentriert: Die Schwarmorganisation stellt den Kunden gedanklich ins Zentrum aller Aktivitäten. Und iterative, explorative Vorgehensweisen ermöglichen die enge Einbindung der Kunden in den Entstehungsprozess neuer Produkte und Dienstleistungen.
  • Global: Als offene Netzwerkstruktur mit globalen Partnern können Schwarmorganisationen sich weltweit flexibel organisieren. Globale Märkte können von ihnen daher ohne größere Anstrengungen angegangen werden.
  • Motiviert: Die in Schwarmorganisationen tätigen Menschen sind glücklich und voller Energie, weil sie zu ihnen passende, sinnvolle Aufgaben zum Nutzen des Unternehmens erfüllen können. Das ist der Nährboden für intrinsische Motivation.
  • Exzellent: Der die Kultur von Schwarmorganisationen bestimmende Wert ist Exzellenz. Dementsprechend wichtig ist allen Mitarbeitenden des Unternehmens eine exzellente Produktqualität.
  • Kosteneffizient: In Schwarmorganisationen entstehen viel weniger Reibungsverluste als in klassisch-hierarchischen Organisationen. Hierdurch steigt die Produktivität und die Kosten fallen in gleichem Maße. Die Eigenverantwortung und das Engagement der Mitarbeitenden tun ihr übriges.
  • Vornedran: Die Kultur von Schwarmorganisationen ist von einer kollektiven Verantwortung für das Unternehmen und ständigen Wachsamkeit hinsichtlich relevanter Trends und Aktivitäten der Wettbewerber geprägt.
  • Selbstoptimierend: Die Mitglieder einer Schwarmorganisation werden vom Wunsch getragen, das Unternehmen ständig optimal an die aktuellen Herausforderungen anzupassen. Chancen für neue Geschäftsmodelle werden früh erkannt und genutzt.
  • Wandlungsfähig: Schwarmorganisationen sind für eine Welt voller Veränderungen geschaffen. Das ist Teil ihrer DNA. Sie verfügen über leistungsfähige Mechanismen der Rekonfiguration.

Praxisbeispiele für Schwarmorganisationen

Praxisbeispiele können theoretische Konzepte mit Leben füllen. Sie machen Vorkämpfern Mut und helfen, Skeptiker zu überzeugen. Und ewig Gestrigen können sie den Wind aus den Segeln nehmen. Es gibt (noch) keine Organisationen, die alle oben beschriebenen Charakteristika und Elemente von Schwarmorganisationen vollständig umgesetzt haben – zumindest kenne ich keine. Aber auch eine nur im Ansatz oder zum Teil realisierte Schwarmorganisation macht das Potenzial dieses Konzeptes deutlich. In diesem Sinne präsentiere ich Ihnen zwei ganz unterschiedliche Unternehmen, die teilweise auch unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Organisation setzen.

Jack Ma gründete 1999 Alibaba in seiner Wohnung. Heute beschäftigt das Unternehmen ca. 35.000 Menschen und setzt jährlich 11 Milliarden Euro um. Alibaba wird als ein sich selbst optimierendes Unternehmen bezeichnet. Die erfolgreiche Unternehmensentwicklung ist von einem explorativen und iterativen Vorgehen gekennzeichnet. Dazu setzt Alibaba einige Prinzipien von Schwarmorganisationen um:

  • Die Strategie und die darauf aufbauende Taktik wird im Rahmen eines definierten, kontinuierlichen Prozesses ständig an aktuelle Entwicklungen angepasst.
  • Impulse für Strategieanpassungen und neue Initiativen zur Nutzung von Marktchancen kommen aus der Organisation (Stichwort Schwarmintelligenz).
  • Die Mitarbeiter handeln eigenständig und selbstorganisiert, ohne direkte Steuerung durch das Top-Management.
  • Neue Geschäftsmodelle testet Alibaba in selbstständigen Einheiten.
  • Die Führungskräfte und das Top-Management wechseln häufig ihre Wirkungsbereiche. Die Führungsrollen und das Führungsverständnis entwickeln sich ständig weiter.
  • Ein offenes Kommunikations- und Informationssystem stellt Transparenz her. Es unterstützt die Selbstorganisation auf allen Ebenen.

Veränderungen sind für die Mitarbeitenden von Alibaba völlig normal. Die Organisationskultur ist konsequent auf Wandel ausgerichtet. Embrace Change (Veränderungen begrüßen) ist einer der sechs Werte des Konzerns. Wer eine neue Marktchance wittert, startet einen Co-Creation-Prozess. Co-Creation ist eine Form von Open Innovation, bei dem unterschiedliche unternehmensinterne und -externe Stakeholder gemeinsam an einer Innovation arbeiten. Zur Realisierung wird eine Organisationseinheit mit einer zur Natur der Entwicklungsaufgabe passenden Organisationsform gebildet. Die Produktentstehung erfolgt unter Einbeziehung von Kunden.

Ein Erfolgsrezept von Alibaba ist, auf dem Höhepunkt eines Erfolges noch mehr mit neuen Produktideen und Geschäftsmodellen zu experimentieren.

Ähnliche Vorgehensweisen und damit “schwarmartiges Verhalten” zeigen auch Google, Netflix und Amazon.

Mehr können Sie über dieses faszinierende Unternehmen in einem interessanten Artikel von Martin Reeves, Ming Zeng und Amin Venjara erfahren. Es ist im Harvard Business Manager 01/2016 unter dem Titel Das sich selbst optimierende Unternehmen erschienen.

Auch das deutlich kleinere, deutsche Unternehmen Allsafe Jungfalk setzt auf Prinzipien der Schwarmorganisationen. Es befasst sich im Gegensatz zum Internet-Giganten Alibaba vor allem mit Ladungssicherung, ist also eine Zulieferer in der Logistik-Branche. Folgende Charakteristika kennzeichnen Allsafe:

  • Wertschätzung und hilfreiche Leitlinien statt einschränkende Vorschriften: Mitarbeitende werden zunächst als Menschen gesehen und wertgeschätzt. Sie erhalten einen Kaffeebecher mit Namen als Willkommensgeschenk, können ihren Arbeitsplatz gestalten, ein Auto zu Sonderkonditionen erwerben und werden zusatzversichert. Quartalsweise werden Erfolge gefeiert, und zwar von allen Mitarbeitern, einschließlich der Leiharbeiter. Es geht um das Gefühl, gemeinsam etwas erreicht zu haben. Genauso wird aber auch der “Flop des Monats” zelebriert.
  • Selbstverantwortung und Selbststeuerung: Wie die Mitarbeiter ihre Ergebnisse erreichen, bleibt ihnen überlassen. Sie haben das Recht, zu gestalten. Das heißt nicht, dass sie allein gelassen werden. Auf Wunsch stehen Führungskräfte beratend zur Seite. Mitarbeiter übernehmen Verantwortung. Sie dürfen sich trauen, eine Lage mit Augenmaß einzuschätzen und das Richtige zu tun. Sie greifen auch mal in einen fremden Kompetenzbereich ein, wenn es der Sache dient.
  • Sinnvolles Arbeiten entsprechend der eigenen Fähigkeiten und Motive: Der reguläre Arbeitsumfang eines Allsafe Mitarbeiters beträgt etwa 70 Prozent der Arbeitszeit. In dieser Zeit werden sie nach ihren Stärken eingesetzt. In den Recruiting-Gesprächen werden dazu fünf konkrete Talente identifiziert. Der Job wird dann so weit wie möglich um diese herum konstruiert. Die übrigen 30 Prozent setzt der Mitarbeiter selbst in Projekten entsprechend seiner Talente und Interessen im Sinne des Unternehmens ein. Das sind Projekte, an die er glaubt und von denen er sich einen Nutzen erhofft. Er stellt sein eigenes Team zusammen. Es gibt keinen Druck, keine Vorgaben und auch keine Vorwürfe, wenn etwas schief geht.
  • Offene Kommunikation und ungehinderter Zugang zu allen Informationen: Bei Allsafe entwickeln die Mitarbeiter Produkte von Anfang an gemeinsam. Jeder bringt seine Expertise ein. Jeder ist stolz auf das gemeinsame Ergebnis. Im Gegensatz zu hierarchischen Organisationen erfahren alle Mitarbeiter alle Ergebnisse. Das reißt die Zäune zwischen den Menschen und den Abteilungen nieder. Jeder weiß: Es kommt auch auf mich an. Durch den uneingeschränkten Zugang zum Informationssystem verstehen sie auch z.B. die Bedeutung eines Auftrags, der Überstunden erfordert. Sie können dann selbstständig entscheiden und das Richtige tun. Sie spüren, wie wichtig und einflussreich sie sind.
  • Vertrauen der Führungskräfte in die Mitarbeitenden – statt Kontrolle: Das Ergebnis zählt, nicht die Dauer der Anwesenheit. Die Mitarbeitenden erstellen sich To-do-Listen für den Tag. Diese arbeiten sie ab und danach – ob nach sieben oder nach zehn Stunden – gehen sie nach Hause. Die verantwortlichen Mitarbeiter entscheiden selbst. Eine Rücksprache mit einem “Vorgesetzten” ist dafür nicht erforderlich.
  • Hierarchiearmut: Die Führungskräfte von Allsafe haben andere Rollen als in hierarchischen Organisationen. Sie üben sich in Demut und haben gelernt, Macht abzugeben.

Mehr können Sie über Allsafe Jungfalk in dem kurzweiligen Buch von Detlef und Ulrich Lohmann mit dem Titel … und heute leg ich los! Die völlig andere Art, im Job zu leben nachlesen.

Für diesen Blog-Beitrag belasse ich es bei diesen beiden Porträts von schwarmhaften Unternehmen mit dem Anfangsbuchstaben A. In weiteren Beiträgen folgen Porträts anderer Schwarmorganisationen, quer durch das Alphabet: Neben den schon genannten Internet-Riesen spannt sich der Bogen von Buurtzorg, über dm Drogeriemarkt bis hin zu Semco und W.L.Gore.

Ich beleuchte zudem die Piratpartiet, der Piraten-Partei in Schweden. Sie hat unter ihrem Gründer Rick Falkvinge die Idee der Schwarmorganisation in besonderem Maße umgesetzt. Auch gehe ich auf eine militärische Variante ein, dem Network-Centric Warfare.

Wie weit ist Ihr Unternehmen von einer Schwarmorganisation entfernt?

Vielleicht fragen Sie sich, wo Ihre Organisation im Vergleich zur Schwarmorganisation steht?

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