Der Organisations – Shift: Der Mensch und seine Organisation

Es existiert eine Passung von Mensch, Organisation, Rolle und Situation. Diese vier Faktoren beeinflussen sich gegenseitig. Die Passung der Persönlichkeit eines Menschen zum Unternehmen und zu seinem Arbeitsgebiet entscheidet darüber, wie leistungsfähig, motiviert und zufrieden er ist.

Lesen Sie in diesem Beitrag mehr über die Hintergründe dieser Passung sowie die Auswirkungen einer guten und weniger guten Passung. Der Beitrag enthält die Einführung zum dritten Kapitel: Der Mensch und seine Organisation sowie einige der darauf folgenden Unterkapitel aus unserem neuen Buch: Der Organisations – Shift. Das Buch erscheint im März 2020 im Schäffer-Poeschel Verlag.

Einen detaillierten Überblick und erste Einblicke in das Buch finden Sie in diesem Beitrag. Weitere Ausschnitte aus dem Buch können Sie hier lesen: Der Organisations – Shift: Die Evolution von Organisationen.

Das Buch Der Organisations – Shift / Evolution und Transformation Ihres Unternehmens können Sie über den stationären Buchhandel oder direkt beim Schäffer-Poeschel Verlag sowie über alle führenden Online-Händler, wie Amazon oder Thalia, beziehen.

Abriss des Buches: Der Organisations – Shift

Inhaltliche Schwerpunkte

Das Buch Der Organisations – Shift beschreibt den Zusammenhang zwischen den Herausforderungen eines Marktes und die dafür passende Organisation. Gestützt auf gesicherten Erkenntnissen aus Wissenschaft und Praxis zeigen wir, wie sich Unternehmen als Ganzes aufstellen müssen, um heute und in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein.

Ausgehend von der Tatsache, dass jeder Markt spezifische Anforderungen an ein Unternehmen stellt, untersucht das Buch zunächst die Natur dieser Anforderungen. Dabei spielen die Digitalisierung und ihr Einfluss auf die Märkte eine herausragende Rolle. Anschließend wird detailliert beschrieben, auf welche Art und Weise ein Unternehmen agieren und sich organisieren muss, um in „seinem Markt“ nachhaltig erfolgreich zu sein. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Relevanz neuartiger Konzepte untersucht, zu denen agile Organisationen ebenso gehören wie die New Work Bewegung.

Einen Schwerpunkt legen wir dabei auf die Menschen in den Unternehmen. Wir gehen davon aus, dass die Zusammenwirkung der individuellen Persönlichkeiten die Leistungsfähigkeit einer Organisation ausmacht. Die sich dadurch ergebende Kultur entscheidet darüber, ob der Einzelne im Unternehmen leistungsfähig ist und sich wohlfühlt – oder nicht. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf die Führungskräfte, Führungsrollen und Führungskultur gelegt. Die Struktur der Organisation und ihre Prozesse ergeben sich daraus.

Der Nutzen für den Leser

Der Nutzen des Buches liegt darin, dass der Leser die für seinen zukünftigen Markt optimale Organisation bestimmen kann. Und ihm werden Mittel und Wege aufgezeigt, um das Unternehmen und die Menschen dorthin zu entwickeln.

So werden aus den Menschen der Organisation die Zukunftsgestalter des Unternehmens. Zur Unterstützung dieser Entwicklung liefert das Buch wichtige Hintergrundinformationen sowie eine Vielzahl bewährter Vorgehensweisen, Methoden und Tools.

An wen sich das Buch richtet

Das Buch richtet sich an all diejenigen, die Verantwortung für die Zukunft ihres Unternehmens tragen.

Zunächst sind das die Menschen, die aufgrund ihrer Position zu dieser Gruppe gehören und Orientierung suchen sowie Sicherheit gewinnen wollen: Vorstände, Geschäftsführer bzw. Inhaber sowie die Führungskräfte.

Von großem Interesse ist dieses Buch zudem für Menschen, die aufgrund ihrer Funktion Verantwortung tragen. Diese Zielgruppe befasst sich zum Beispiel mit Strategieentwicklung und Digitalisierung oder der Führungskräfte-, Personal- bzw. Organisationsentwicklung.

Ausschnitt aus Kapitel 3 des Buches Der Organisations – Shift: Der Mensch und seine Organisation

Beginn des Buch-Ausschnitts

Menschen erschaffen Organisationen. Im besten Falle ist die Organisationsform dazu geeignet, den Anforderungen der Umwelt und des Marktes zu entsprechen. Aber Umweltbedingungen ändern sich und mit ihnen muss sich die Organisation ändern, wie wir im vorherigen Kapitel beschrieben haben. Diese Organisationsentwicklung oder Transformation der Organisation muss von den in der Organisation tätigen Menschen geleistet und getragen werden.

Eine Veränderung ist für einen Teil der Menschen an sich schon eine Herausforderung. Es sind die Menschen, denen vertraute Strukturen Sicherheit geben. Dazu gehören auch Manager in den Unternehmen, die Veränderungen anstoßen sollen. Durch eine Veränderung ihrer Organisation arbeiten die Menschen zudem aktiv an ihrer Existenzgrundlage, was die Herausforderung nochmal steigert. Vor allem, wenn sie unter Umständen gezwungen sind, eine Organisationsform zu schaffen, in der sie sich voraussichtlich überhaupt nicht wohlfühlen werden.

Wir werden in diesem Kapitel sehen, dass es eine Passung von Mensch, Organisation, Rolle und Situation gibt. Und dass sich diese vier Faktoren gegenseitig beeinflussen. Es wird um die Hintergründe dieser Passung sowie die Auswirkungen einer guten und weniger guten Passung gehen.

Als Leser bekommen Sie in diesem Kapitel Führungsinstrumente an die Hand. Instrumente, mit denen Sie die Motivation und Leistungsfähigkeit der Menschen in Ihrem Unternehmen nachhaltig steigern können. Sie lernen die Menschen in Ihrer Organisation über ihre individuelle Persönlichkeit kennen. Sie werden praxisrelevante Aspekte der Motivation kennenlernen. Insbesondere die Unterscheidung und Besonderheiten intrinsischer und extrinsischer Motivation spielen dabei eine Rolle.

Durch die Lektüre gewinnen Sie Erkenntnisse über Möglichkeiten und Grenzen der fachlichen sowie der persönlichen Weiterentwicklung Ihrer Führungskräfte, Mitarbeiter und Kollegen. Sie erhalten wertvolle Informationen über den Umgang von Menschen mit Veränderung. Damit wird die Grundlage dafür geschaffen, Menschen für Veränderungen zu gewinnen. Sie werden einige in Ihrem Unternehmen tätige Menschen zu aktiven Gestaltern einer zukünftigen Organisation machen können. Und andere zumindest soweit mitnehmen, dass sie die Veränderungen mittragen können. Schließlich gehen wir in diesem Kapitel auch darauf ein, welche besonderen Herausforderungen die Digitalisierung für die Menschen bereithalten kann.

Die gerade beschriebenen Aspekte besitzen auch für Sie persönlich eine hohe Relevanz. Mit den Informationen dieses Kapitels lernen Sie sich selbst vor dem Hintergrund Ihrer aktuellen Organisation, eines möglichen Transformationsprozesses und der Zielorganisation besser kennen. Sie lernen den Kontext der jeweiligen Organisationsform kennen und damit deren spezifischen Anforderungen.

Mit dem Rüstzeug dieses Kapitels sind Sie in der Lage herauszufinden, in welcher Art von Organisation, bei welcher Kultur und in welcher Rolle Sie leistungsfähig und performant, glücklich und zufrieden sind. Und auch, in welchem Umfeld Sie sich vermutlich nicht wohlfühlen werden. Damit erhalten Sie Anregungen, welche Rollen Sie in Zukunft in Ihrem oder einem anderen Unternehmen spielen können. Sie können damit im Grunde Ihre berufliche Entwicklung auf eine neue Grundlage stellen.

Werte und Organisationskultur

[Auslassung, siehe Buch: Der Organisations - Shift]

Werte und Persönlichkeit

Passung von Mensch und Organisation

Entsprechen nun alle Menschen, die zum Beispiel in einer Matrixorganisation oder einer agilen Organisation tätig sind, den obigen Beschreibungen? Für diejenigen, die für lange Zeit in einem Unternehmen mit der jeweiligen Organisationsform bleiben, lautet die Antwort ja. Denn jedes Unternehmen zieht die zu seiner Kultur „passenden“ Menschen an und bindet sie als neue Mitarbeiter an sich. Kennzeichnend dafür ist eine geringe Fluktuation. Passend heißt in diesem Zusammenhang, dass die individuellen Wertesysteme der Menschen gut mit den kulturbestimmenden Werten des Unternehmens harmonieren. Man nennt das Cultural Fit (Schein 1985). Das gilt für jede mögliche Organisationsform und deren kulturbestimmenden Werte.

Die Bindung entsteht, weil sich die Mitarbeiter in der Organisation zuhause fühlen und das Unternehmen ihnen einen individuellen Sinn vermittelt. Denn wenn ihre Werte von den Kollegen geteilt werden, entsteht Nähe und ein tiefes, gegenseitiges Verständnis. Man sieht die Welt mit derselben Brille. Man handelt aus subjektiver Sicht den eigenen Werten entsprechend richtig und gut – und damit sinnvoll. Und deshalb sind die Mitarbeiter mit kompatiblem Wertekanon sowohl glücklich als auch intrinsisch motiviert. Sie sind dadurch leistungsbereit, engagiert, erfolgreich und loyal. Die Organisation wiederum honoriert den damit einhergehenden Erfolg der Mitarbeiter. Das tun sie zum Beispiel durch Incentives oder nicht monetären Belohnungen, die Wertschätzung ausdrücken. Das steigert die Motivation weiter. Insbesondere dann, wenn die extrinsischen Anreize intrinsische Bedürfnisse der Menschen befriedigen. Die Kultur und die Menschen passen einfach zueinander!

So wie die geteilten Werte einer Organisation deren Kultur prägen, prägt das individuelle Wertesystem eines Menschen dessen Persönlichkeit. Daher kann Cultural Fit auch wie folgt verstanden werden: Die Persönlichkeit des Mitarbeiters passt zum Unternehmen. Die positiven Auswirkungen dieser Passung entstehen durch das im Sinne des Unternehmens zielführende Handeln der Mitarbeiter.

Lassen Sie uns das am Beispiel der Besetzung von Führungspositionen aus unserer praktischen Arbeit illustrieren. Häufig stehen noch immer Fachkompetenz, Branchenerfahrung und manchmal auch soziodemografische Kriterien, wie Geschlecht oder Alter, im Fokus der Auswahl. Die Passung spielt selten eine Rolle. Und selbst wenn dieser Aspekt einbezogen werden soll, wissen die wenigsten, wie man das tun kann.

Personalverantwortliche verlassen sich daher lieber auf strukturierte Assessment Center oder berufsbezogene Profilings. Sie scheitern mit diesem Ansatz allerdings immer häufiger bei der Besetzung von Führungspositionen. Das liegt in der Regel nicht an fachlichen Defiziten der Kandidaten, sondern daran, dass die Persönlichkeit des Kandidaten nicht zur Kultur des Unternehmens bzw. zur neuen Rolle passt (siehe Abschnitt „Role Fit“ in diesem Kapitel). Wenn nur mit berufsbezogenen Analysen gearbeitet wird, dann fehlen die Grundlagen für ein ganzheitliches Verständnis der menschlichen Persönlichkeit. Dadurch geraten Auslöser und Verstärker von intrinsischer Motivation aus dem Blickfeld.

Ein Unternehmen sucht eine neue Führungskraft. Eine erfolgreiche Führungskraft des Wettbewerbers hat gemäß eines berufsbezogenen Profilings mit der eigenen Referenzgruppe gute Bewertungen erhalten. Die Bestimmung des Wertesystems über die Motivstruktur (siehe Abschnitt „Grundwerte, Lebensmotive und Verhalten“ in diesem Kapitel) ergab, dass der persönlich stärkste Treiber der Wunsch nach familiärer Fürsorge ist. Die Anforderungen des neuen Jobs erfordern allerdings den wochenweisen Einsatz vor Ort beim Kunden. Das spricht gegen den Wechsel – die Führungskraft würde unglücklich werden und ihre Motivation leiden. Über die Reflexion der Anforderungen und Motive der Führungskraft haben die Partner sich dann aber trotzdem füreinander entschieden. Sie haben vereinbart, dass die Führungskraft überwiegend standortnahe Kunden betreut. Räumlich entfernte Einsätze erfolgen nur im Ausnahmefall in der Rolle eines Springers. Die Zusammenarbeit ist bis heute eine Erfolgsgeschichte.

Was hatte die Führungskraft motiviert zu wechseln? Ihr hatte einerseits die lösungsorientierte, auf den Menschen ausgerichtete Vorgehensweise gefallen. Und andererseits, dass das ihr wichtige Thema Familie in dem Unternehmen einen Wert darstellt.

Einige Personalverantwortliche überwiegend kleinerer Unternehmen geben an, dass sie bei der Auswahl vor allem auf ihr Bauchgefühl hören würden. Dabei besteht allerdings die Gefahr zu übersehen, dass ein Kandidat vielleicht eine Persönlichkeit hat, die nicht zur Kultur des Unternehmens passt. Denn durch den Interpretationsspielraum abstrakter Anforderungen sind bei diesem Vorgehen Fehlentscheidungen gut möglich. Ohne Kenntnisse der Grundlagen menschlicher Motivation und der emotionalen Nähe und Distanz zu anderen Persönlichkeiten, führen Gespräche im Rahmen des Auswahlprozesses zu missverständlichen Annahmen und Erwartungen.

In einer mittelgroßen Unternehmensberatung ist der Vorstand unzufrieden mit einem von ihm eingestellten Berater. In der Bewerbungsphase hatte dieser betont, dass ihm Teamarbeit wichtig sei. Deshalb hat der Vorstand ihn eingestellt. Denn dieser Vorstand hat selbst eine sehr positive Haltung zu Teamarbeit, sie ist von großem Wert für ihn. Er liebt den Austausch und den Konsens, sodass das auch die Kultur des Hauses ist. Der Bewerber hatte das gespürt und daher die eigene Teamfähigkeit in den Vordergrund gestellt, um den Job zu erhalten. Im Tagesgeschäft kann er dem Anspruch aber nicht gerecht werden: er bindet Kollegen nicht ein, informiert nicht, bleibt Meetings fern. Intrinsisch bevorzugt er Autonomie und möchte unabhängig handeln. Weder der Vorstand noch der Berater sind zufrieden und fühlen sich wohl mit der Situation. Durch eine vorherige objektive Klärung der dominierenden Werte des Kandidaten hätte das vermieden werden können.

Persönlichkeit und Verhalten

Wesentlich für den Erfolg ist also die Bestimmung der Persönlichkeit eines Menschen mit ihrem Wertesystem. Das gilt sowohl bei der Besetzung von Stellen in klassischen Organisationen, als auch bei der Übernahme von Rollen während oder nach einer Transformation. Dazu gehört die konkrete Beschreibung der Anforderungen an die Persönlichkeit eines Kandidaten und deren objektive Bestimmung. Aber auch der anschließende, für alle Beteiligte offene und transparente Abgleich.

Eine naheliegende Möglichkeit ist der Rückschluss auf die Persönlichkeit eines Menschen aus der Beobachtung seines Verhaltens. Zur Erfassung der Persönlichkeit gehen die meisten der heute genutzten Diagnostiken von der Beobachtung und Einordnung des Verhaltens von Menschen aus. Daraus schließen sie auf die Persönlichkeit. Diese fassen sie meist als Kombination von Merkmalen des Temperaments, des Gefühlslebens, des Intellekts und der Art zu handeln oder zu kommunizieren auf.

Eines der bekanntesten Modelle dieser Art ist Big Five bzw. das Fünf-Faktoren-Modell (Borkenau et al. 2008). Es basiert auf fünf Grundfaktoren, die nach Meinung vieler Experten eine Persönlichkeit recht zutreffend beschreiben. Es handelt sich um Folgende:

  • Extraversion beschreibt Aktivität und zwischenmenschliches Verhalten. Extravertierte Menschen sind gesellig, aktiv, gesprächig, personenorientiert, herzlich, optimistisch und heiter. Sie sind zudem empfänglich für Anregungen und Aufregungen. Introvertierte Menschen sind zurückhaltend bei sozialen Interaktionen, gerne allein und unabhängig. Sie können auch sehr aktiv sein, aber weniger in Gesellschaft.
  • Verträglichkeit ist ebenfalls ein Faktor, der zwischenmenschliches Verhalten beschreibt. Menschen mit hohen Verträglichkeitswerten begegnen anderen mit Verständnis, Wohlwollen und Mitgefühl und möchten ihnen helfen. Sie vertrauen, kooperieren und sind nachgiebig. Wenig verträgliche Menschen sind streitbar, egozentrisch und misstrauisch. Sie verhalten sich eher wettbewerbsorientiert als kooperativ.
  • Gewissenhaftigkeit beschreibt den Grad an Selbstkontrolle, Genauigkeit und Zielstrebigkeit. Gewissenhafte Menschen handeln organisiert, sorgfältig, planend, effektiv, verantwortlich, zuverlässig und überlegt. Menschen mit gering ausgeprägter Gewissenhaftigkeit handeln wenig sorgfältig, spontan und ungenau.
  • Neurotizismus bezieht sich auf das individuelle Erleben von negativen Emotionen. Dieser Faktor wird auch als emotionale Labilität bezeichnet, der Gegenpol als emotionale Stabilität, Zufriedenheit oder Ich-Stärke. Menschen mit einer hohen Ausprägung in Neurotizismus erleben häufiger Angst, Nervosität, Anspannung, Trauer, Unsicherheit und Verlegenheit. Zudem werden diese Empfindungen bei ihnen leichter ausgelöst und bleiben länger bestehen. Sie tendieren dazu, sich Sorgen um ihre Gesundheit zu machen. Sie entwickeln häufig unrealistische Ideen und haben Schwierigkeiten, in Stresssituationen angemessen zu reagieren. Menschen mit niedrigen Neurotizismuswerten sind eher ruhig, zufrieden, stabil, entspannt und sicher. Sie erleben seltener negative Gefühle. Dabei sind niedrige Werte nicht zwangsläufig mit dem Erleben von positiven Emotionen verbunden.
  • Offenheit beschreibt das Interesse und das Ausmaß der Beschäftigung mit neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken. Offene Menschen haben eine rege Fantasie, nehmen Gefühle deutlich wahr und sind an vielen persönlichen und öffentlichen Vorgängen interessiert. Sie sind wissbegierig, intellektuell, fantasievoll, experimentierfreudig und künstlerisch interessiert. Sie sind eher bereit, bestehende Normen kritisch zu hinterfragen und auf neuartige soziale, ethische und politische Wertvorstellungen einzugehen. Sie sind unabhängig in ihrem Urteil, verhalten sich häufig unkonventionell, erproben neue Handlungsweisen und bevorzugen Abwechslung. Weniger offene Menschen neigen demgegenüber eher zu konventionellem Verhalten und zu konservativen Einstellungen. Sie ziehen Bekanntes und Bewährtes dem Neuen vor und nehmen ihre emotionalen Reaktionen eher gedämpft wahr.

Weitere bekannte Modelle bzw. Diagnostiken dieser Art sind zum Beispiel der 16-Persönlichkeits-Faktoren-Test (16 PF, Schneewind et al. 1994) oder der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI, Bents et al. 1995).

Verhaltensorientierte Modelle zur Beschreibung der Persönlichkeit leisten wertvolle Beiträge, zum Beispiel im Personalmanagement oder im Coaching, hinsichtlich der Person-Situation-Passung. Sie geben wichtige Impulse, wie gut die Persönlichkeit eines Menschen zu einer bestimmten Unternehmenssituation passt. Für unsere Zwecke sind sie allerdings weniger geeignet. Denn sie lassen keine unmittelbaren Rückschlüsse auf das Wertesystem eines Menschen zu, das wir zur Bestimmung des Cultural Fit aber kennen müssen. Sie können nicht ausreichend zwischen den situativen Einflüssen und den Einflüssen des Kerns der Persönlichkeit auf das Verhalten eines Menschen unterscheiden.

Betrachten wir zur Erläuterung dieses Sachverhalts Abbildung 3.1. (Abbildung 3.1 und die folgenden Erläuterungen wurde gegenüber früheren Veröffentlichungen (Schmidt, S. 2018, Schmidt, S. 2019) hinsichtlich der Bedeutung der Intelligenz und der verwendeten Terminologie modifiziert und ergänzt.) Darin sind auf der linken Seite, in dunklem Grau, die stabilen, zeitlich weitgehend unveränderlichen Anteile unserer Persönlichkeit dargestellt. Rechts finden wir, in hellerem Grau, die veränderlichen, entwickelbaren und beeinflussbaren Anteile der Persönlichkeit.

Persönlichkeit und VerhaltenAbbildung 3.1: Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Verhalten

Unser Verhalten (unten rechts in der Abbildung) wird stark von der aktuellen Situation beeinflusst, in der wir uns gerade befinden (Hossiep et al. 2000). Sie wird von externen, nicht beeinflussbaren Wirkgrößen bestimmt.

In Unternehmen sind das zum einen die Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Mitarbeiterpotenziale (relevant für Führungskräfte), verfügbare Ressourcen, die wirtschaftliche Situation des Unternehmens oder das gesellschaftliche und politische Klima. Dazu gehört auch die Organisationskultur, die der Einzelne in größeren Organisationen meist nur geringfügig beeinflussen kann.

Dann gibt es noch individuelle Einflussfaktoren auf unser situatives Verhalten: die Vorbilder, die wir momentan haben, die Peergroup, die wir uns aussuchen oder in der wir tätig sein müssen (Team, Abteilung), konkrete Situationen, in denen wir uns befinden (Mitarbeitergespräch, Meeting, Workshop) sowie natürlich die Anforderungen und Aufgaben, die an uns gestellt werden bzw. die wir erfüllen müssen.

Dem gegenüber (oben links in der Abbildung) stehen die individuellen Wesensmerkmale eines Menschen. Sie machen ihn einmalig und unverwechselbar und bilden seine Persönlichkeitsstruktur. Die Wesensmerkmale sind von bestimmten Grundwerten geprägt. Sie definieren das individuelle Wertesystem eines Menschen. Mit Grundwerten sind sogenannte intrinsische Bedürfnisse verbunden. Diese wollen lebenslang befriedigt werden und bedingen dadurch bestimmte handlungsleitende, intrinsische Motive. Diese Wesensmerkmale werden in der Psychologie auch Traits genannt: überdauernde persönliche Eigenschaften oder Attribute, die das Verhalten über verschiedene Situationen hinweg beeinflussen (eine Übersicht zur Forschung zu Traits finden Sie hier: Zimbardo et al. 2018).

Die Wesensmerkmale sind zu einem Teil vererbt (Loehlin et al. 1998) oder hirnentwicklungsmäßig bedingt (Roth 2018). Zum anderen Teil sind sie das Ergebnis einer frühkindlichen Prägung durch Bindungspersonen sowie dem Herkunftsmilieu und das Rollenverhalten der darin lebenden Menschen. Eine besondere Bedeutung kommt der Bindungserfahrung zwischen Säugling bzw. Kleinkind und einer oder mehrerer Bindungspersonen zu. Das sind meist die Eltern, aber auch Verwandte, Kinderbetreuerinnen oder fremde Menschen können diese Rolle unter Umständen übernehmen. Sie hat Auswirkungen auf die individuelle Fähigkeit zu Lernen, auf die sozialen Kompetenzen eines Menschen, wie die Beziehungsgestaltung zu anderen Menschen (Team), die persönliche Stabilität und natürlich auf die Bindungsbeziehung zu eigenen Kindern.

Die Ausprägung dieser Wesensmerkmale findet im frühen Kindesalter statt. Wann genau dieser Prozess abgeschlossen ist, hängt von den individuellen Umständen und der genetischen Disposition ab. Häufig werden die ersten sieben Lebensjahre als wahrscheinliche Prägeperiode genannt. Erfahrungen im späteren Kindes- und Jugendalter haben einen abnehmenden Einfluss auf die Formung der Persönlichkeitsstruktur. Sie stabilisiert sich also früh und bleibt in der Regel unverändert. Dies gilt hinsichtlich der grundlegenden Wesensmerkmale (Traits) als gesicherte Erkenntnis, die durch Längsschnittstudien (Haan et al. 1986, Costa et al. 1994) und neuerdings auch neurobiologisch (Roth 2018) untermauert ist. Anschließend vermögen nur noch umwälzende, erschütternde bzw. traumatische Ereignisse im Leben daran etwas zu ändern. Diese befinden sich oft in der Nähe von (psycho-) pathologischen Zuständen und haben nicht selten hirnorganische Grundlagen (Roth 2018).

Wir zählen zur Persönlichkeitsstruktur eines Menschen auch seine Intelligenz. Denn sie entwickelt sich ebenfalls – ausgehend von einer genetischen „Grundausstattung“ – in den ersten Lebensjahren eines Menschen weiter und ist im Jugendalter weitgehend abgeschlossen (Roth 2018). Strittig ist, wie und in welchem Maße das genau geschieht. Für unsere Zwecke ist das allerdings nicht relevant. Unstrittig ist hingegen, dass Intelligenz einen wesentlichen Teil unserer Persönlichkeit ausmacht und die Begabungen bzw. Talente eines Menschen bestimmt. Als Begabung oder Talent sehen wir in dem hier diskutierten Zusammenhang die latente Fähigkeit bzw. Anlage zu bestimmten (überdurchschnittlichen) Leistungen. Diese können sich entwickeln oder können entwickelt werden, müssen das aber nicht.

Die Persönlichkeitsstruktur beeinflusst auf zweierlei Arten unser Verhalten:

  1. Direkter Einfluss (unten links in Abbildung 3.1): Die in der Persönlichkeitsstruktur verankerten Grundwerte zeigen sich über die mit ihnen verbundenen intrinsischen Motiven unmittelbar in den von außen wahrnehmbaren Persönlichkeitsmerkmalen eines Menschen. Diese werden durch antrainierte Verhaltensmuster in Alltagssituationen allerdings „verfälscht“. Spätestens in Stresssituationen oder wenn es um fundamentale Entscheidungen geht, offenbaren wir aber unser „wahres Gesicht“ – unseren authentischen Kern. Das geschieht als automatische Reaktion auf bestimmte Reize und die damit verbundenen, wahrnehmbaren Emotionen.
  2. Indirekter Einfluss (oben rechts in Abbildung 3.1): Die Persönlichkeitsstruktur bestimmt auch die Vorlieben und Interessen sowie die Begabungen bzw. Talente eines Menschen. Sie hat darüber einen starken Einfluss auf unsere Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs. Denn wir lernen nur das und wenden es in der Praxis an, was unsere intrinsischen Bedürfnisse befriedigt. Andernfalls sind wir nicht dauerhaft motiviert, uns mit einem Thema gründlich zu befassen. Es erscheint uns sinnlos und uninteressant. Zu diesem „Wollen“ kommt nun das „Können“ hinzu: Wir können nur das Lernen, wozu wir kognitiv in der Lage sind. Da Verhalten stark von den Kompetenzen beeinflusst wird, die ein Mensch im Laufe seines Lebens erwirbt, wird es darüber indirekt durch dessen Wesensmerkmale geprägt.

Übrigens ist eine Persönlichkeitsentwicklung mithilfe von Trainings und Coaching zur Ausbildung zielführender Verhaltensweisen im beruflichen Kontext nur wegen des zweiten Punktes gerechtfertigt. Denn die Persönlichkeitsstruktur selbst können wir nicht ändern. Ihre Kenntnis ist jedoch von Nutzen, um individuell sinnvolle, fruchtbare Entwicklungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Vorlieben und Interessen eines Menschen zu ergreifen. Indem wir bestimmte persönliche und fachliche Kompetenzen entwickeln, können wir die an uns gestellten Anforderungen durch ein verändertes Verhalten besser erfüllen.

Ende des Buch-Ausschnitts

Literaturverzeichnis

Bents, R./Blank, R.: Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI), Beltz Test, Göttingen, 1995

Borkenau, P./Ostendorf, F.: NEO-Fünf-Faktoren Inventar nach Costa und McCrae (NEO-FFI), Manual (2. Aufl.), Hogrefe, Göttingen, 2008

Costa, P. T./McCrae, R. R.: Stability and change in personality from adolescence through adulthood, in Halverson, C. F./Kohnstamm, G. A./ Martin, & R. P.: The developing structure of temperament and personality from infancy to adulthood, Lawrence Erlbaum Associates, Inc. 1994, pp. 139–150

Haan, N./Millsap, R./Hartka, E.: As time goes by: Change and stability in personality over fifty years, Psychology and Aging, 1(3) 1986, pp. 220–232

Hossiep, R./Paschen, M./Mühlhaus, O.: Persönlichkeitstests im Personalmanagement, Hogrefe Verlag, Göttingen, 2000

Loehlin, J. C./McCrae, R. R./Costa, P. T./John, O. P.: Heritabilities of common and measure-specific components of the Big Five personality factors, in: Journal of Research in Personality, 32(4) 1998, pp. 431–453

Roth, G.: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, Klett-Cotta, Stuttgart, 2018

Schein, E. H.: Organizational Culture and Leadership, Jossey-Bass Publishers, San Francisco, CA, 1985

Schmidt, S.: Agile Führung – Oder: Die „ideale Führungskraft“ für selbststeuernde Organisationen, Vortrag, Konferenz Agile@Hardware, Frankfurt, 2018 (auch online im Internet, 31.10.2018, Agile Führung – Persönlichkeit und Entwicklung agiler Führungskräfte, Abruf 31.07.2019

Schmidt, S.: Agilität und Selbstverantwortung, in: Thomaschewski, D./Völker, R. (Hrsg.): Agiles Management, Kohlhammer, Stuttgart, 2019

Schneewind, K. A./Schröder, G./Cattell, R. B.: Der 16-Persönlichkeits-Faktoren-Test (16 PF), Verlag Hans Huber, Bern, 1994

Zimbardo, P. G./Gerrig, R. J.: Psychologie, Pearson Studium, München, 2018

Das Buch Der Organisations – Shift / Evolution und Transformation Ihres Unternehmens können Sie über den stationären Buchhandel oder direkt beim Schäffer-Poeschel Verlag sowie über alle führenden Online-Händler, wie Amazon oder Thalia, beziehen.